Bitcoin hat in den vergangenen sechs Wochen über 40.000 US-Dollar verloren – eine brutale Bewegung, die das Vertrauen vieler Anleger erschüttert hat. Während die breite Öffentlichkeit ausschließlich auf den Spot-Chart schaut und nervöse ETF-Abflüsse zählt, argumentiert Jeff Park, CIO bei ProCap BTC und Berater von Bitwise, dass sich die eigentliche, unsichtbare Verschiebung an einem völlig anderen Ort abspielt: im Volatilitätsmarkt.
In seinem Bericht “Where Does Bitcoin Go From Here?” macht er deutlich, dass der Preisverfall zwar schmerzhaft, aber nicht das Hauptthema ist. Seiner Einschätzung nach beginnt sich etwas im Herzen der Bitcoin-Marktstruktur zu verändern – etwas, das eher an die wilde, unberechenbare Phase vor dem ETF-Zeitalter erinnert.
Die sichtbare Lage: Eine klar negative Marktstruktur und massive Abflüsse
Park stellt zunächst klar, dass der kurzfristige Trend zweifellos negativ ist. Die Spot-ETFs verzeichnen Abflüsse, die Coinbase-Notierung handelt mit deutlichem Discount, und die Liquidationen überhebelter Longs haben den Markt regelrecht durchgeschüttelt. Die Kapitalabflüsse zeigen, dass institutionelle Investoren vorerst den Fuß vom Gas nehmen, während kurzfristige Trader aus Positionen herausgezwungen werden.
Für Park ist das zwar relevant, aber nicht das Entscheidende. Er bezeichnet diese Phase als “oberflächliche Stressreaktion”, die vor allem durch strukturelle Verkäufe und gehebelte Fehlpositionierungen ausgelöst wurde. Doch er betont, dass ein anderer Faktor ein viel interessanteres Bild zeichnet – und möglicherweise bereits verrät, wie die nächsten Wochen aussehen werden.
Das unsichtbare Signal: Bitcoin-Volatilität steigt trotz fallender Kurse
Normalerweise sinkt die implizite Volatilität (IV) in Zeiten fallender Kurse – insbesondere seit dem Start der Spot-ETFs, die Bitcoin in eine Phase künstlich gedämpfter Schwankungen versetzt haben. Doch die letzten 60 Tage zeigen eine ungewöhnliche Veränderung: IV steigt, obwohl BTC fällt.
Genau diese Kombination gab es seit 2023 praktisch nicht mehr.
Park sieht darin ein potenzielles Warnsignal dafür, dass die “alte” Bitcoin-Volatilität zurückkehrt – jene Phase, in der geringe Liquidität, extreme Hebelwirkung und reflexives Optionsverhalten die Kurse in wenigen Stunden oder Tagen um zweistellige Prozentsätze bewegten.
Der Volatilitätsmarkt sei, so Park, wie eine Art Frühwarnsystem: Er reagiert früher und sensibler auf strukturelle Verschiebungen als der Spotmarkt. Und im Moment sendet er ein Signal, das man nicht ignorieren sollte.
Rückblick: Wie Volatilität Bitcoin schon mehrfach in Extremphasen katapultiert hat
Um die aktuelle Dynamik zu verstehen, verweist Park auf die Jahre 2021 und 2022 – eine Zeit, in der Bitcoin von einem Schockereignis ins nächste schlitterte:
- Während des chinesischen Mining-Banns schoss IV auf über 150 %.
- Der Zusammenbruch von Luna/UST ließ IV erneut über 110 % steigen.
- Die Pleiten von Three Arrows Capital und FTX erzeugten weitere Spitzen.
In all diesen Phasen folgten massive Trendbewegungen, sowohl aufwärts als auch abwärts.
Seit der FTX-Pleite hatte sich die Volatilität beruhigt – fast unnatürlich beruhigt.
Die ETF-Ära brachte Struktur, Liquidität und “Wall-Street-Normalität”.
Doch diese Normalität scheint zu bröckeln.
Der aktuelle Anstieg der impliziten Volatilität wirkt laut Park wie ein “schwaches, aber erkennbares Wiederaufleben der alten Konvexität”, also jener Sogwirkung, die Optionen und Spotmarkt gegenseitig verstärken und in kurze, explosive Marktphasen treiben.
Volatilität als Motor: Warum Wall Street wieder höhere Ausschläge braucht
Ein zentraler Punkt von Parks Analyse: Volatilität ist der Treibstoff institutioneller Handelsstrategien.
Während ETFs für stetige Nachfrage und Stabilität sorgen, ist es die Volatilität, die Hedgefonds, Optionsschreiber, Arbitrage-Desks und institutionelle Trendfolger anlockt.
Je höher die Volatilität, desto mehr Renditechancen ergeben sich – und desto größer werden die Kapitalströme.
Park erinnert an Anfang 2024: Damals stiegen die impliziten Volatilitäten über Wochen hinweg langsam an, bevor Bitcoin in eine gigantische Aufwärtsbewegung überging, getrieben von Trendfolgern, Optionshändlern und ETF-Zuflüssen.
Sollte sich die aktuelle Volatilitätsdynamik fortsetzen, könnte sich dieser Mechanismus wiederholen.
Das entscheidende Szenario: Zwei mögliche Wege
Park reduziert die Lage schließlich auf ein einziges, klares Entscheidungsmodell:
- Fallender Preis + steigende IV
→ Hinweis auf einen bevorstehenden, scharfen Rebound oder Short-Squeeze.
→ Die Marktstruktur würde ein Umkehrmuster vorbereiten. - Fallender Preis + stagnierende oder sinkende IV
→ typisches ETF-Zeitalter-Muster: gedämpfte Ausschläge, fehlende Reflexivität.
→ eine nachhaltige Abwärtsphase (Beginn eines echten Bärenmarktes) wird wahrscheinlicher.
Überraschenderweise ist also nicht der Kurs selbst das Entscheidende, sondern das, was die Volatilität tut, während der Kurs fällt.
Der Preis fällt – aber die Volatilität verrät, was wirklich passiert
Park macht deutlich, dass Bitcoin sich in einer entscheidenden Phase befindet, die weit über kurzfristige Preisbewegungen hinausgeht. Die Spot-Märkte sehen schwach aus, aber die Volatilität erwacht – und in der gesamten Geschichte von Bitcoin bedeutete das fast immer, dass eine größere Bewegung unmittelbar bevorsteht.
Ob diese Bewegung nach oben oder nach unten führt, hängt davon ab, wie sich die implizite Volatilität in den kommenden Wochen entwickelt.
Die nächsten Wochen entscheiden, ob wir einen echten Bärenmarkt bekommen – oder ob Bitcoin erneut eine der typischen, explosiven Trendwenden hinlegt.